Anfang letzten Jahres wandte sich eine aus Gotha stammende von sexualisierter Gewalt Betroffene mit einem Outcall an die Öffentlichkeit. In dem zusammen mit Unterstützer*innen verfassten Outcall formulierte sie Forderungen für eine Aufarbeitung an das Haus- und Wohnprojekt Juwel, in dessen Räumlichkeiten und Strukturen sich die Vergewaltigung zugetragen hat. Die geforderte Aufarbeitung ist trotz vielfacher öffentlicher Beteuerungen der Bemühungen darum, seitens des Juwel aber zu vermissen. Wir ziehen nun die Konsequenzen und distanzieren uns vom Juwel Gotha!
Dem Outcall der Betroffenen aus Gotha folgte wenig später ein Statement des Juwels, in dem sie ihre Reaktion beschreiben, nachdem sie von der Vergewaltigung erfahren haben. Der Täter hatte binnen 1,5 Wochen auszuziehen, der Betroffenen seien Unterstützungsangebote gemacht worden. Fehler wurden eingeräumt, Bedauern und Erschütterung ausgedrückt und eine Auseinandersetzung und Aufarbeitung in Aussicht gestellt. Danach wurde es (zumindest nach außen hin) ruhig um das Juwel Gotha.
Ob – und wenn ja wie – eine Auseinandersetzung und Aufarbeitung stattfinden würde, war wegen der mangelnden Öffentlichkeit seitens des Juwels Gotha schwer nachvollziehbar. Immer wieder gab es vor allem in Form von Facebook-Kommentaren Versicherungen dazu, dass diese aber stattfinde.
Dabei trat jedoch meist die Frage nach einem Umgang mit sexualisierter Gewalt und überhaupt Sexismus in den eigenen Strukturen immer wieder zugunsten des Aufpolierens des eigenen Images in den Hintergrund. Den nicht zuletzt von der Betroffenen geäußerten Einschätzungen wurden immer wieder die eigenen Bemühungen vorwurfsvoll entgegengehalten, statt einmal ihr Befinden ernst zu nehmen. Diese Form der Auseinandersetzung ließ eigentlich klare Schlüsse zu.
Dass im letzten und Anfang dieses Jahres kaum öffentliche Veranstaltungen stattfinden konnten, bedingte für uns (und andere Außenstehende) aber die Bequemlichkeit, sich gegenüber des Juwels nicht praktisch verhalten zu müssen. Die Frage, wie man sich in Solidarität mit der Betroffenen dazu verhält, wenn dort Veranstaltungen stattfinden würden oder was die nicht transparente (vermeintliche) Aufarbeitung für zukünftige Zusammenarbeit bedeuten würde, stellte sich in der Praxis nicht.
Wir hatten allerdings die Hoffnung, dass an einem Ort wie Gotha, der einen linken Raum so dringend benötigt, eine Chance darauf besteht, dass man sich der Aufgabe der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in den eigenen Strukturen stellt.
Die letzten Zweifel, darum, dass eine Aufarbeitung stattfinde, die man mangels Öffentlichkeit nicht nachvollziehen konnte, platzten dann spätestens, als das Juwel wieder zu einer öffentlichen Veranstaltung einlud. Die Betroffene und ihre Unterstützer*innen, die bis dahin viele Anfeindungen über sich ergehen lassen mussten, wandten sich in einem neuen Statement an die Öffentlichkeit, in dem sie anprangerten, dass das Juwel das Versprechen der Aufarbeitung (und Transparenz) nicht einhalten konnte und nun zum Tagesgeschäft übergehen wollte. Die Reaktionen von Seiten des Juwel darauf bestätigten diese Sicht: Die eigenen Bemühungen um Aufarbeitung wurden beteuert, der Betroffenen und allen, die sich mit ihr solidarisierten, vorgeworfen, eben diese Bemühungen nicht ernst zu nehmen. Es wurde niemals auch nur die Frage an die Betroffene gerichtet, was sie zu der Einschätzung veranlasst, dass keine Aufarbeitung stattgefunden hat und wie sie sich eine solche vorstelle (dokumentiert und analysiert auf dem Instagram-Account sistersinsarms).
Wir ziehen praktische Konsequenzen: Mitglieder des Juwel e.V., Täterschützer*innen und alle, die meinen, das fortwährende mutige Hinweisen auf die fehlende Aufarbeitung durch die Betroffene und ihre Unterstützer*innen sei ein Problem und nicht die fehlende Aufarbeitung selbst, sind bei Veranstaltungen des AK40 unerwünscht. Wir sehen keine Möglichkeit für eine zukünftige Zusammenarbeit mit dem Juwel e.V. und empfehlen mehr noch Menschen, die potenziell von sexualisierter Gewalt betroffen sein können, ihm fortan fern zu bleiben. Damit kündigen wir nicht die Zusammenarbeit mit einem antifaschistischen Projekt auf, wir ziehen die Konsequenzen daraus, dass das Juwel in Gotha kein solches mehr ist; sondern ein Projekt, das lange vorher schon ein Problem mit Sexismus hatte, aber an der Bearbeitung dieses Problems nicht interessiert ist. Ein Projekt, in dem Täterschützer*innen verkehren, während der Betroffenen mit Auslachen bis hin zu Anfeindungen begegnet wird, wenn sie immer wieder die Auseinandersetzung sucht (während ihr nahegelegt wurde, dem Juwel zum Zweck der Konfliktvermeidung fern zu bleiben !) . All das zeigen die Veröffentlichungen der Betroffenen und ihrer Unterstützer*innen zu genüge.
Besorgniserregend finden wir, wenn Betroffene, die Täter und die sie schützenden Strukturen outcallen, als Nestbeschmutzer*innen dargestellt werden. Damit begibt man sich in die Logik von Bürgermeister*innen, die lieber den Ruf ihrer Stadt wahren wollen als gegen Nazi-Strukturen vorzugehen. Sicher macht es bedrohte linke Räume auch angreifbarer, wenn in der Öffentlichkeit über dort stattfindende sexualisierte Gewalt berichtet wird. Aber sind es überhaupt erhaltenswerte Räume, wenn sie keine Schutzräume für alle, sondern für Täter sind?